Donnerstag, 21. Februar 2013

Mein Kind macht Abitur - koste es, was es wolle...

Und wieder sind sie da - die Empfehlungen für die weiterführende Schule. Leider erlebe ich es immer wieder, dass damit für manche Familien (aber besonders für die Eltern) eine Welt zusammenbricht.

Natürlich will jeder das Bestmögliche für sein Kind und dazu gehört eben auch eine Schulbildung, die es ermöglicht, den weiteren Lebensweg positiv zu beeinflussen - und wer hat sich sein Neugeborenes nicht schon mit der fertigen Doktorarbeit winkend vorgestellt? 
;-)

Wir müssen uns aber klar machen, dass die Erfüllung unserer Wünsche eben nicht immer das Beste für unsere Kinder ist. Man kann darüber streiten, ob die Schulempfehlungen sinnvoll sind. In den meisten Fällen aber trifft die Einschätzung der Lehrerinnen und Lehrer zu, das zeigt die Erfahrung. Nur, weil ein Kind eine Realschul- oder gar Hauptschulempfehlung bekommt, heißt es aber noch lange nicht, dass der weitere Bildungsweg damit unverrückbar vorgezeichnet ist. Kinder sind so verschieden - einige zeigen schon in der Grundschule Einsatz und Zielstrebigkeit, andere sind eher "Energiesparmodelle", die zunächst versuchen, mit so wenig Aufwand wie möglich durch die Schule zu kommen, plötzlich aber Gas geben und durchstarten. Dies ist natürlich in der vierten Klasse in vielen Fällen noch nicht absehbar. Gemeinschaftsschulen und unser duales Ausbildungssystem sind jedoch nur zwei Möglichkeiten, doch noch einen höheren Abschluss zu erreichen. Dies geschieht dann nicht, weil die Eltern oder Lehrer es so wollen, sondern aus der so genannten "intrinsischen Motivation" heraus, d.h., die Kinder beschließen für sich: "Ich will mehr erreichen, ich strenge mich für mein Ziel an!". Dies ist die wichtigste Grundlage für Erfolg!

Seit einigen Jahren wird das Abitur bei uns an Gymnasien in acht, statt wie bisher in neun Jahren erreicht ("G8"). Solange aber der Lehrplan und die Stoffmenge nicht endlich an die kürzere Schulzeit angeglichen werden, ist die Gymnasiallaufbahn noch viel schwerer, als sie es sowieso schon war. Ein Lehrer eines Lübecker Gymnasiums sagte neulich zu mir: "Wir können den Stoff nur noch anreißen. Für vertiefendes Erklären bleibt keine Zeit mehr, das müssen die Schüler zu Hause nachholen." Der Druck für die Schüler ist somit immens. Versteht mich nicht falsch: Es gibt ganz hervorragende Gymnasien und auch viele Schüler, die das Pensum bewältigen. Man sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass wenig Rücksicht auf "Nachzügler" genommen wird, wenn man sein Kind mit Realschulempfehlung auf einem Gymnasium anmelden will.

In meiner Praxis habe ich immer wieder Kinder, die in der sechsten Klasse schon ausgebrannt, müde und völlig unmotiviert sind, da sie fast nur schlechte Noten schreiben und mit dem Stoff nur dann hinterher kommen, wenn sie nachmittags noch bis zu fünf Stunden (!) Hausaufgaben machen. Bei den schlechten Erfahrungen, die diese Kinder mit dem Lernen und der Schule gemacht haben, ist davon auszugehen, dass sie später nur schwerlich aus eigener Motivation heraus weiter lernen werden. Um es ganz klar zu sagen: Ein Kind, das in der fünften oder sechsten Klasse bereits Nachhilfe in mehreren Fächern oder gar Lerntherapie benötigt und vor lauter Hausaufgaben nicht mehr zum Spielen kommt, ist in der Regel auf der falschen Schule! 

Bei aller verständlichen Sorge um die Zukunft des Kindes: Nicht die Gegenwart vergessen! Ein Kind, dass die Erfahrung macht, dass Lernen Spaß machen kann, wird eher einen guten Schulabschluss erlangen, als ein Kind, dessen Schulleben durch Misserfolge geprägt ist. Und was nützt ein Abitur, wenn ein Kind auf dem Weg dahin depressiv geworden ist?

Das Wichtigste ist jedoch zu zeigen, dass man stolz auf sein Kind ist - ganz egal, wie die Empfehlung aussieht. Ein Kind, das die Wertschätzung seiner Eltern spürt, kann mit einem guten Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl die lange und aufregende Reise zum Schulabschluss antreten und hat so gute Voraussetzungen, über sich hinauszuwachsen. Auch wenn es etwas pathetisch klingt: Die spürbare Liebe und Akzeptanz der Eltern sind immer noch die effektivsten Hilfen für die schulische Entwicklung.